Grenzen und Utopien- Mein Freiwilligendienst beim BDKJ Fulda

Demijan berichtet von seinem BFD in der Bahnhofsmission Kassel

Mein Name ist Demijan , bin 22 Jahre alt und absolvierte meinen Freiwilligendienst vom Februar bis April des darauffolgenden Jahres- also, mein Freiwilliges Jahr ging von Frühjahr bis Frühjahr. Als ich meinen Freiwilligendienst begann, war mir noch nicht ganz so klar was aus mir werden soll, bzw. werden könnte. Im Gesuch nach einer Beschäftigung nach einem missglückten Studienstart für Lehramt landete ich beim Caritasverband in Kassel. Ich bin sozial veranlagt, das wusste ich, aber ich hatte keine Anhaltspunkte, keine Kontakte und auch keinen Bezug zu sozialen Feldern. Nach einem längeren Gespräch mit einer netten Sozialarbeiterin, welche später meine Chefin werden sollte, reichte ich zeitnah meine Bewerbung für einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) in der Bahnhofsmission in Kassel- Wilhelmshöhe ein.

Wo ich zu dem Zeitpunkt an „Bahnhof“ dachte, schwebten mir Begriffe wie Diebstahl, Gewalt, Armut, Drogensucht und Hektik durch meinen Kopf. Ruppige Menschen, Unfreundlichkeit und weitere unschöne Angelegenheiten plagten mich in der Nacht vor meinem ersten Tag. Damit sollte ich aber nur teilweise Recht behalten.


Mein erster Tag war für mich wenig überraschend. Ich kam in die Bahnhofsmission und sah schon die ersten Gäste an den Tischen sitzen. Ich schaute in von jahrelangem Drogenkonsum entstellte Gesichter, zu Gästen, die so eingefallen und deprimiert wirkten, dass man selbst kaum seine frische Laune halten konnte, bis hin zu Menschen, die offenbar einen osteuropäischen Migrationshintergrund haben und wie aus einem Bilderbuch in das gesellschaftlich konstruierte Klischee eines Straftäters passten. Von dem Zeitpunkt war mir klar, dass ich nicht ganz unrecht mit meinen Vorstellungen hatte und meine erste intuitive Handlung war Distanz.
Je länger sich mein Freiwilligendienst zog, desto mehr merkte ich, wie diese Distanz fiel. Ich ertappte mich selbst irgendwann, wie ich auf einen neckischen Kommentar eines Gastes zu meinem Outfit, ebenso reagierte und wir beide lachen mussten. Das Eis war gebrochen.


Zu meinen Aufgaben in der Bahnhofsmission zählten neben dem Abholen der Lebensmittelspenden, der Bewirtschaftung und Beratung der Gäste und kleineren Gesprächen auch der Umgang und die Organisation der Ehrenamtlichen. Ich war mit einem großen Abstand der Jüngste und hatte Angst deswegen nicht ernst genommen zu werden. Diese Kooperation mit den Ehrenamtlichen werde ich niemals vergessen. Menschen, die teilweise noch den zweiten Weltkrieg überlebt haben, engagieren sich trotz körperlicher Gebrechen so aktiv und herzerwärmend, dass sich viele Menschen eine Scheibe abschneiden können.
Im Umgang mit älteren Menschen sollte es mir also nicht mangeln. Gerade, da wir auch Umstiegshilfen im Bahnhof anbieten und Menschen im hohen Alter und/oder mit Behinderungen kostenfrei helfen. Dies geschieht per Anmeldung durch Telefon, E-mail oder auch ganz spontan, wenn man im Bahnhof von einer lieben Omi angesprochen wird.


Mein Freiwilligendienst zog sich weiter und ich schaffte es mittlerweile recht gut Bezüge zu Menschen mit verschiedenster Herkunft, sozialem Stand und Charakter herzustellen. Doch je mehr man in die Welt der Menschen eintaucht, desto tiefer werden die menschlichen und sozialen Abgründe. Mit diesem Wissen fing ich an, die Menschen, die ich an meinem ersten Tag in der BM (Bahnhofsmission) sah, anders zu bewerten. Ich sehe bitterarme Menschen aus Osteuropa, die ihr Land aus Hunger und Mangel an Arbeit verlassen und in Deutschland ihr Glück versuchen, gequält durch ihren „Touristenstatus“ in EU Ländern, ausgeschlossen von jeglichen sozialen Hilfen. Ich sehe Menschen, die nie richtig gelernt haben zu lesen oder zu schreiben und sich jetzt versuchen im bürokratischen Dschungel Deutschlands zurecht zu finden. Ich sehe alte Frauen von 80 Jahren, die schwarz arbeiten, da sie von ihrer Rente nicht leben können. Ich sehe Drogensüchtige, die wie Maschinen funktionieren und kein Scham- oder Selbstwertgefühl mehr zeigen um an Geld zu kommen. Man kann sich nun entscheiden. Möchte man in diese Welt eintauchen und sein soziales, rechtliches und politisches Wissen stärken oder nimmt man den Freiwilligendienst als pure Erfahrung und geht in eine ganz andere Richtung.


Mittlerweile wusste ich um die Wirkung der BM auf unsere Gäste. In der sozialen Arbeit muss man sich mit kleinen Schritten zufrieden geben. Man darf niemals davon ausgehen, jedem Junkie von seiner Sucht zu befreien oder jedem Menschen von der Straße zu helfen. Hilfe beginnt auch schon bei kleinen Dingen. Man sieht deutlich das Blitzen in den Augen der Gäste, wenn man von der Metzgerei einmal Bratwürstchen als Spende ausgeben kann. Man sieht die Freude bei einsamen Menschen ein Gespräch führen zu können. Man sieht, dass jedes kleine Engagement der Mitarbeiter gegenüber den Gästen, diese ein Stück glücklicher macht, und ein wenig Ballast von ihrer oftmals harten und traurigen Lebenswelt nimmt.


Diese Erfahrung wird mir niemand mehr nehmen und ist ausschlaggebend für meinen gewählten Berufsweg- ein duales Studium der Sozialen Arbeit.
10 von 10  für den Freiwilligendienst-  would do it again.