Freiwillige berichten: Politisches Seminar zu "Flucht& Asyl"

Die Simulation "Asyl in Balinea" orientiert am deutschen Asylverfahren war sehr einprägsam und hat Augen geöffnet.

Im Mai fand das politische FSJ-Seminar der Freiwilligendienste zum Thema "Flucht und Asyl" in der Jugendherberge Bad Hersfeld statt.

Neben der gemeinsamen eintägigen selbst erstellten Simulation "Asyl in Balinea", welches sich am deutschen Asylverfahren orientiert, konnten sich die rund 80 Freiwilligen in Themengruppen wie "Fluchtgründe". "Ehrenamt", "Politischer Aktivismus" und "Argumentationstraining gegen Rechts" einwählen und sich dort interaktiv mit dem Thema auseinandersetzen.

Das Thema ist nach wie vor aktuell, und war für viele Freiwillige sehr einprägsam. Insbesondere die Simulation, die spielerisch einem Einzelschicksale, das Asylrecht, politische Entscheidungen sowie auch die Rolle der Medien verständlicher werden lässt, hat ihnen die Augen für Hintergründe geöffnet.

Die Freiwilligen Alina Thonius, Anna-Klara Semmler und Vanessa Karwat berichten von ihren Erfahrungen:

 

"Mit dem Thema Flucht habe ich mich schon sehr früh beschäftigt, da meine Familie mütterlicherseits aus der damaligen DDR geflüchtet ist und durch die Erzählungen kann ich mich gut in Geflüchtete hinein versetzen. Genau wie bei den heutigen Geflüchteten, standen sie damals vor dem Nichts.

Das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte, wäre es, wenn ich mein Zuhause, meinen Ort der Geborgenheit, verlassen müsste, weil ich dort nicht mehr leben könnte, sei es finanziell oder aus Angst um mein Leben. Ich müsste alles, was ich besitze und vielleicht noch meine Familie zurücklassen. Wo geht es hin? Was passiert mit meiner Familie? Sehe ich sie je wieder? Werde ich diese Flucht überleben? Diese Fragen sind Sinnbild für Unsicherheit, Ungewissheit und Hilflosigkeit, was ich so niemals fühlen möchte. Und trotzdem gibt es viel zu viele Menschen, die es fühlen oder gefühlt haben. Selbst wenn Geflüchtete Asyl gewährt bekommen, sind sie nicht sicher, denn sie sind Vorurteilen, Bedrohungen und teilweise auch Gewalt ausgesetzt. Das ist etwas, das ich nicht verstehen kann. Man kann nicht alle Geflüchteten für die schlimmen Taten verantwortlich machen, die einzelne Geflüchtete getan haben. Das ist, als würde man sagen: „Es gibt Deutsche, die Straftaten begangen haben, deshalb sind alle Deutschen Straftäter.“. Damit will ich nicht alle Geflüchteten in den Schutz nehmen, sondern nur die, die friedlich hier leben wollen und sich anpassen. Aber man sollte sich auch mal in die Situation hinein versetzen: Es gibt Gründe, warum diese Menschen geflüchtet sind, und diese sind bestimmt nicht leicht zu verarbeiten, genauso wie die Flucht. Man kommt also in ein fremdes Land, mit wenig oder keinen Sprachkenntnissen, vielleicht traumatisiert, lebt unter menschenunwürdigen Umständen in Auffanglagern, mit der Angst, dass alles umsonst war und man wieder zurück muss. Man wird bei der Antragstellung auf Asyl über die Fluchtgründe befragt, über die Rechte und Pflichten aufgeklärt (kann man die wirklich in so einem Zustand richtig verstehen? Vor allem wenn das Amt so überlastetet ist wie in 2015 und sich nicht für jeden einzelnen Flüchtling so viel Zeit nehmen kann, bis er es versteht?) und darf einen Integrationskurs machen, wenn man eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung bekommen hat. Nach jahrelangem Warten bekommt man dann vielleicht Asyl und darf Arbeiten, wenn man eine Arbeitserlaubnis bekommt. So sieht der Idealfall aus, wenn man Glück hat und nicht aus einem “sicheren“ Land kommt, wie z.B. Ghana. Welches Land als sicher gilt, steht im Gesetz. Kommt man aus einem dieser Länder wird man abgeschoben.

Ich kenne den Ablauf des Asylverfahrens sehr genau, da es im Seminar eine Simulation gab, in der ich die Rolle des wissenschaftlichen Dienstes bekommen habe, der beim Amt tätig war. In der Simulation durften die Teilnehmer in das Land Balinea eintauchen und sich einen Tag in die Flüchtlingspolitik einarbeiten und dabei Rollen der Presse, des Amtes, des Ausschusses, der Flüchtlinge, der ProAsyl und der Grenzbeamten übernahmen.  Der wissenschaftliche Dienst hatte die Aufgabe, die Integrationsprozesse zu erforschen,zu analysieren und zu bewerten, um am Ende eine Empfehlung für die Politik aus den Ergebnissen abzuleiten. Bei der Forschung sind einige Unstimmigkeiten in der Gesetzgebung aufgetreten, wie z.B. die Festlegung von “sicheren“ Ländern, da jeder Geflüchtete andere Fluchtgründe hat und auch die Befragung manchmal wenig Aufschluss gibt, da sie vielleicht nicht alles preisgeben wollen oder können. Außerdem kann jeder Mitgliedsstaat von Balinea die Übernahme von Geflüchteten ablehnen, ohne jeglichen Grund. Das kann zu einer Überlastung führen, was auch in unserer Simulation passiert ist. Da die Asylgesetzgebung dem deutschen Asylgesetz und der Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU gleicht, sollte man sich vielleicht überlegen, ob man daran nicht was ändert.

Genau wegen diesen Überlegungen war diese Simulation so wichtig, um sich nicht nur über Flucht und Asyl zu informieren, sondern es auch einmal zu erleben. Auch wenn es nur ein Tag war und sie natürlich nicht der Realität entsprach, kam sie der Realität doch sehr nahe. Niemand wusste so recht, wo sein Zuständigkeitsbereich anfing oder endete, weshalb es sehr chaotisch wurde. Gerade der Ansturm der Geflüchteten sorgte für eine Überlastung, wobei auch Fehler passierten. Es gab nicht genug Dolmetscher, weshalb die Kommunikation eingeschränkt war und alles länger dauerte. Allerdings bekamen alle Geflüchteten, außer einem, eine Aufenthaltsgenehmigung, auch wenn sie aus angeblich sicheren Ländern kamen. Das ist natürlich im Moment nicht wirklich möglich, aber vielleicht irgendwann, wenn alle Länder zusammen arbeiten und man das Problem an der Wurzel packt.

Neben der Simulation gab es Themengruppen, dessen Einheiten sich auf die restlichen Tage verteilten. Meine Themengruppe hat sich zuerst damit beschäftigt, was Geflüchtete brauchen, wenn sie in einem neuen Land ankommen. Außerdem haben wir uns darüber informiert, welche Lebensgrundlagen der Staat und welche gemeinnützige Einrichtungen übernehmen. Danach haben wir uns erkundigt, wo man etwas für Geflüchtete in unseren Wohngebieten tun kann. Mit diesem Wissen und etwas Vorbereitung sind wird dann zu der gemeinnützigen Einrichtung „Freiraum“ in Bad Hersfeld gegangen, um dort geflüchteten Kindern mit Zuckerwatte, Waffeln, Donuts und einem großen Spiel- und Bastelangebot für wenige Stunden Freude zu bereiten. Dabei kamen wir natürlich auch in Gespräche und lernten die Kleinen etwas besser kennen. Vor allem war es berührend, wie sich die Kinder über so kleine Sachen wie einen selbstgebastelten Button aus der Buttonmaschine und einen Luftballon freuen konnten. Sie waren uns sehr dankbar, dass wir uns für sie Zeit genommen hatten. Ein paar Kinder haben sogar gefragt, ob wir nächste Woche wieder kommen können. Das war natürlich die schönste Anerkennung, die wir bekommen konnten. Die Zeit ging leider viel zu schnell vorüber, denn wir hätten uns gerne noch länger mit den Kindern beschäftigt. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es doch ist, sich mit Geflüchteten zu beschäftigen und sie für ein paar Stunden aus ihrem Alltag, ihren Sorgen zu holen. Und jeder, der Zeit hat, sollte sich gemeinnützig engagieren, denn es gibt viel mehr zurück, als man denkt."

(Alina Thonius)

 

"Als ich das Thema für unser politisches Seminar „Flucht und Asyl in Deutschland“ erfuhr, hatte ich meine Bedenken. „Bitte nicht schon wieder dieses Thema“, „Wir reden doch ständige über dieses Thema und hatten es auch schon oft genug in der Schule“, „Das wird bestimmt langweilig und zäh“ Doch keines meiner Bedenken wurde bestätigt. Es ist keine Frage, das Thema Flucht und Asyl ist seit ein paar Jahren ein immer wieder kehrendes Thema. Einige Menschen, dazu zähle auch ich, finden dieses Thema uninteressant und ausgelutscht. Durch die Simulation im politischen Seminar wurde mir bewusst, dass es nicht nur um uns geht und was wir darüber denken, sondern auch um die Menschen, die diese Flucht hautnah erleben. Ich spielte ein minderjähriges Mädchen, welches alleine auf der Flucht war. Sie hatte in ihrer Heimat keine Chance auf eine Zukunft, aufgrund der politischen Einstellung ihrer Familie drohte ihr dort die Verfolgung und vielleicht auch der Tod. Durch die Rolle und die realistische Darstellung der Simulation könnte ich mich gut in dieses Mädchen hineinversetzen. Ich fühlte mich hilflos, alleine, verzweifelt und unverstanden. Ich hatte Angst keine Zukunft mehr zu haben. Kannst du dir das als junger Erwachsener vorstellen? Ich nicht! Nach der Simulation war ich über mich selber schockiert. Ich bin nicht ausländerfeindlich aber ich habe dieses Thema immer als unangenehm und lästig empfunden. Das Gefühl nichts über dieses Thema, in meiner schulischen Bildung gelernt zu haben, ließ mich nicht los. Und das alles nur, weil ich all diese Fakten in meiner schulischen Bildung aufgenommen habe ohne sie richtig zu hinterfragen. Vielleicht weil ich es als zu anstrengend empfand oder mich nicht mit diesen doch eher negativen Gefühlen beschäftigen wollte. Ohne die politische Bildungsarbeit des BDKJ wäre ich vielleicht nie zu dieser für mich wichtigen Erkenntnis gekommen. Ich habe in diesem Seminar viele neue Fakten auf eine andre und interessante Art kennengelernt. So wie ich dies auch immer wieder in den anderen Seminaren oder an meiner Einsatzstelle tu. Das schöne dran ist ich lerne nicht nur etwas über Themen, sondern auch etwas über mich. Und das auch noch mit Spaß und anderen Jugendlichen. Ich finde die Bildungsarbeit des BDKJ genau aus diesen Gründen super."

(Anna-Klara Semmler)

 

"Das Thema Flucht und Asyl begegnete uns allen in den vergangenen Jahren sehr häufig, ob in der Schule, medial oder auch in Diskussionen mit Freunden, Eltern oder sonst wem. Aus diesem Grund glaubte ich bereits viel zu wissen und es schien mir, dass ich auf dem Seminar nichts Neues dazulernen würde. Was sollte man schon zu dem Thema spannendes erarbeiten können? Ein Trugschluss, wie sich im Nachhinein herausstellte: Ich konnte einen deutlich tieferen Einblick in die Situation eines Geflüchteten gewinnen. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine Simulation. Am Dienstag, dem 24. April 2018 waren wir nicht mehr die deutschen FSJler, sondern Staatsbürger Balineas. In Balinea, dem das deutsche Asylrecht zugrunde lag,  wurde sehr realitätsnah nachgestellt wie die Situation im Sommer 2015 in Deutschland gewesen sein musste. Infomaterial erklärte uns die unterschiedlichen Aufgabenbereiche, je nachdem, ob man zum politischen Ausschuss, der Presse, dem Grenzschutz, Pro Asyl oder dem Amt angehörte. Meine Aufgabenbereiche waren die Leitung des Amtes und die Mitarbeit im Wissenschaftlichen Dienst, der Daten erfasste und sie auswertete. Ich war anfangs recht optimistisch, dass alles reibungslos klappen würde – schließlich kannte jeder seine Aufgaben. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass es sich in der Theorie deutlich leichter angehört und gelesen hat, als es in der Praxis letztendlich war. Insbesondere die vielen Formulare und Sprachbarrieren waren hinderlich. Aber auch das Herausfinden wer für was tatsächlich zuständig ist, erwies sich als herausfordernd. Zudem mussten Termine eingehalten werden, wie das pünktliche Abholen der Vergütung, Leitungstreffen, eine Konferenz und der Bürgerentscheid. Am Ende des Tages mussten sich alle eingestehen, dass es einerseits sehr belehrend war, andererseits anstrengend alles durchzublicken. Ich habe für mich mitgenommen, dass man manchmal erst weiß wie beschwerlich manch eine Situation sein kann, wenn man sie selbst erlebt.  Am folgenden Tag wählte ich mich in die Themengruppe Politischer Aktivismus ein. Bedeutsam fand ich in diesem Zusammenhang die gemeinsame Gestaltung von Plakaten mit den Überschriften: Die wollen doch nur…, Der Islam ist… und Typisch Flüchtling. Zu den gesammelten Vorurteilen positive Gegenargumente zu finden, fand ich sehr interessant.
Rückblickend betrachtet, fand ich die erlebten vier Seminare stets abwechslungsreich, lehrreich und auf gar keinen Fall langweilig! Ich freue mich bereits jetzt auf das kommende letzte Seminar. Schaue ihm aber auch mit einem weinenden Auge entgegen, schließlich wird sich bald unser gemeinsamer Weg in viele Einzelwege trennen."

 (Vanessa Karwat)